Neue Kultur mit 3V-Führung: Verantwortung, Vision, Vertrauen

Vor kurzem hat der Spiegel berichtet, dass das wichtigste Thema für Konzernchefs nicht mehr „Digitalisierung“ oder „Strategie“ sei, sondern „Unternehmenskultur“ (siehe hier). Diese entscheidet nicht nur darüber, ob wir uns bei einem Unternehmen „wohlfühlen“, sondern ist insbesondere für den wirtschaftlichen Erfolg verantwortlich.

Das Thema moderne Unternehmenskultur bedeutet für mich daher nicht bunte Möbel, Tischkicker oder Pizza, sondern setzt ganz oben an. Bei der Unternehmensführung.

Wie heisst es immer so schön?
„Der Fisch fängt am Kopf an zu stinken“.

In der Regel besteht die Unternehmensführung aus Menschen, die langjährig zum Erfolg des Unternehmens beigetragen bzw. diesen gestaltet haben. Egal ob Babyboomer, GenX/Y/Z – mit oftmals sehr viel Fleiß, harter Arbeit, strenger Disziplin. Das stellt niemand in Abrede, aber ihr braucht dringend auch engagierte Mitspieler/Mitspielerinnen!

Jetzt heisst es auf einmal „New Work“, „offene Unternehmenskultur“ „Verantwortung abgeben“ – sonst gehen die guten Leute woanders hin (genau das tun sie leider auch!).

Wie soll man/frau als Führungskraft agieren – wie funktioniert überhaupt Führung in unserer schnelllebigen, sich stetig wandelnden Zeit? Meine Erfahrungen als agile Führungskraft im digitalen Umfeld möchte ich gerne hier teilen. Als kleine Eselsbrücke helfen dabei meine 3 „V“: Verantwortung, Vision, Vertrauen.

#1 – Verantwortung (über)tragen

Führung bedeutet für mich in erster Linie Verantwortung. Verantwortung für sich selbst. Verantwortung für andere Menschen. Verantwortung für Entscheidungen, in guten wie in schlechten Tagen. Verantwortung für das Unternehmen, dessen Erfolg und Misserfolg. Verantwortung kann auch schlaflose Nächte verursachen. Gehört leider dazu.

Es gibt unzählige Arten, wie Führungsverantwortung operativ gelebt werden kann.

Zum Beispiel durch „Comand and Control“ – Befehlen und Kontrollieren. Das erinnert mich immer ein wenig an Peitsche und Trillerpfeife.

Ob die Mitarbeitenden bei einem Kontrollwahn-Chef oder -Chefin ihr Bestes geben? Hmmm, oft genug erlebt – Angst führt nicht unbedingt zu Höchstleistungen. Ob sie lange im Unternehmen bleiben? Wohl auch eher nicht, es gibt aktuell genügend Alternativen im Arbeitsmarkt.

Wie schaffe ich es dann, als Chef/Chefin die von mir verantworteten Menschen zu einer für das Unternehmen erfolgreichen Mitarbeit zu motivieren, ohne diese explizit zu befehlen, und dass sich die Mitarbeitenden dabei wohlfühlen? Eventuell, indem ich Teile meiner Verantwortung übertrage?

Das geht – mit den beiden weiteren „V“.

#2 – Vision kommunizieren

Führung muss ein Ziel haben, das als Vision – eine Art Nordstern – über dem Unternehmen und den dort Mitarbeitenden am Firmament leuchtet.

Es ist Aufgabe der Führungsperson, die Mitarbeitenden für diese Vision zu begeistern. Zu motivieren, einen Teil zur Erfüllung der Vision beizutragen. Wichtig dabei: Allen, wirklich allen Mitarbeitenden muss diese Vision jederzeit klar sein.

Ziel ist es, dass die Mitarbeitenden verstehen, warum sie eine bestimmte Arbeit ausüben, den Sinn dahinter begreifen, als Teil eines großen Ganzen sehen.

Oder zu gut deutsch: Bock haben, an der Vision mitzuarbeiten.

Das Gegenteil hierzu durfte ich über viele Jahre schon häufiger beobachten. Führungskräfte, die ihr Wissen um die Unternehmensziele & -Status für sich im stillen Kämmerlein behalten. Nach dem Motto: Information als Währung für Macht. Scheinbar sinnlose Arbeitsaufträge werden verteilt, die dann mit entsprechendem Unmut ausgeführt oder verschleppt werden, zu Gesprächen auf dem Flur und Unproduktivität führen.

Visionen können sehr unkonkret sein, wie „Wir wollen das Unternehmen mit der besten Lösung im Bereich X für die Branche Y mit den zufriedensten Kunden und glücklichsten Mitarbeitenden sein“, aber auch konkreter wie „Wir wollen Weltmarktführer für ABC werden“.

Eine Vision kann ruhig pathetisch klingen – soll sie auch. Es ist ein langfristiges Ziel – der Weg dahin ist es nicht. Er sollte mit vielen erreichbaren und gemeinsam erarbeiteten (realistischen) Zwischenzielen gespickt sein.

Hier ist für viele langjährige Führungskräfte der erste Change-Brocken zu schlucken. Statt „Wissen ist Macht“ gilt nun „Transparenz“ und viel offene Kommunikation. Kann man lernen, muss man üben!

Der zweite Change-Brocken folgt nun mit dem letzten „V“.

#3 – Vertrauen schenken

Verantwortung tragen und Visionen kommunizieren – das alleine genügt noch nicht, um erfolgreich zu führen. Vertrauen in die Mitarbeitenden ist der letzte Baustein, um moderne Führung zu leben und eine neue Arbeitskultur zu etablieren.

Es bedeutet in der Regel ein großes Umdenken, nicht mehr „von oben“ zu befehligen & kontrollieren. Sondern mit hohem kommunikativen Einsatz die Mitarbeitenden auf die gemeinsame Vision einschwören, und selbständig (neudeutsch: „empowered“) Aufgaben und Probleme lösen lassen.

Teile der eigenen Verantwortung an Mitarbeitende abgeben, trotzdem aber noch die Gesamtverantwortung tragen und die Ergebnisse im Blick behalten.

Im Klartext: Die richtigen Menschen finden, für die gemeinsame Vision begeistern, ermutigen eigene Lösungen zu erarbeiten. Fehler zulassen, korrigierend einschreiten wenn erforderlich.

Moderne Führung bedeutet, wie ein Trainer hinter den eigenen Mitarbeitenden stehen und ihnen dabei helfen, Dinge eigenständig zu erledigen. Dem einen mehr, der anderen weniger.

Jetzt stelle man/frau sich das mal vor: 100 ganz unterschiedliche Menschen arbeiten mit den ihnen eigenen Kompetenzen hochmotiviert an einem klar definierten Unternehmensziel. Ohne strenge Kontrolle, ohne konkrete Anweisung, aber mit klarem Fokus. Sie diskutieren, brainstormen, kommen gemeinsam zu innovativen Ergebnissen, haben Spaß an der Arbeit, werden wertgeschätzt.

Das alles wird möglich, wenn eine starke Führungsperson hinter ihnen steht und die Gesamtverantwortung trägt – und wenn sie alle wissen, worum es geht. Wenn regelmäßig Feedbackgespräche stattfinden, Einzeltrainings in der Analogie des Sports, aber auch Team-Trainings, das gemeinsame Feiern von Erfolgen aber auch das gemeinsame Besprechen von Misserfolgen. (Auch den Erfolg „teilt“ die Führungsperson dann natürlich mit dem kompletten Team – und nicht mehr nur im Führungskreis bei einem Gläschen Sekt.)

Das ist die neue Unternehmenskultur, die auf Freiheit und Verantwortung jedes Einzelnen setzt, aber die gemeinsame Teamverbundenheit stärkt.

All das kann funktionieren, wenn Führungskultur und Unternehmenskultur Hand in Hand gehen. Wenn genügend Zeit und Freiraum zum Lernen / Umdenken da ist, wenn der Wandel auch gewünscht wird.

Und: Wenn es richtig gut läuft, laufen die Themen Digitalisierung und Strategie dabei quasi nebenher mit und werden perfekt umgesetzt.

Von Silke Kanes

Als ehemalige Vorständin & Aufsichtsrätin - mit langjähriger Verantwortung für digitale Produktentwicklung und agile Transformation - unterstütze ich Unternehmen und deren Führungskräfte bei digitalen und unternehmenskulturellen Herausforderungen.