„Bei uns geht jetzt die Mama arbeiten!“ (#Archivfund)

silhouette of man holding two childrens on shore during daytime

Fast 8 Jahre meines Lebens habe ich zu Hause verbracht, um Windeln zu wechseln, mich in Diskussionstechniken mit Heranwachsenden zu üben, Chauffeur zu spielen, oder auch den Haushalt zu schmeißen.

Seit April diesen Jahres ist nun alles anders geworden!

Mein Mann und ich haben unsere Verantwortlichkeiten innerhalb der Familie getauscht. Das bedeutet: Ich gehe ganztags arbeiten und er ist für das Management zu Hause verantwortlich.

Entstanden ist unser „Rollentausch“ dadurch, dass mein Mann als Manager eines Unternehmens immer weniger Zeit für die Familie hatte und zum Teil monatelang nur an den Wochenenden nach Hause kam. Diese Situation war für alle Beteiligten irgendwann derart unerträglich geworden, dass wir unbedingt etwas ändern wollten. Seine ersten zaghaften Äußerungen zu mir in Richtung „Wie wäre es, wenn Du arbeiten gehen würdest, dann habe ich mal die Kinder für mich?“ prallten völlig an mir ab. Unvorstellbar für mich! Wie sehr würde ich die Kinder vermissen, wie sollte er plötzlich kochen können, wer geht Montags um 8:30 in die Aldi-Schlacht? Dann wurde er konkreter: „Du bist doch sonst in allen Dingen so emanzipiert. Warum muss immer ich derjenige sein, der für die Familie die finanzielle Verantwortung trägt?“.

Recht hatte er ja. Große Sprüche klopfen von wegen Gleichberechtigung usw. und dann „kneifen“. Also setzte ich mich mehr oder weniger tatkräftig vor meinen PC und stöberte im Internet nach passenden Stellen. Das war gar nicht einfach, denn ich hatte zwar die letzten 4 Jahre selbständig von zu Hause gearbeitet – aber das war etwas ganz anderes! Und vor allem als was oder wo sollte ich mich bewerben? Mein Informatik-Studium war mittlerweile über 12 Jahre her – damals gab es noch nicht mal das Internet. Vertrieb im Außendienst hatte ich vor den Kindern gemacht – mit teilweise 80 Wochenarbeitsstunden kam das auch nicht mehr in Frage. Dann hätten wir die gleiche Situation wie vorher – nur umgekehrt. Marketing würde mir „Spaß“ machen – aber da fehlte mir die Ausbildung.

Und dann fand ich durch Zufall diese Anzeige bei stepstone.de: Da suchte tatsächlich eine Firma einen Informatiker für Marketing- und Pressearbeit – das klang sehr interessant! Ich schickte meine ganzen Unterlagen direkt per email los; das war Sonntag abends. Am Montag morgen hatte ich schon Antwort: Ich sei aufgrund meines Profils sehr interessant und man würde mich zum Gespräch einladen … in nur einer Woche sollte ich den Vorstand treffen….

Ich glaub, an dem Tag hab ich nichts mehr auf die Reihe gebracht. Plötzlich war die Sache so konkret geworden, dass ich Angst vor meiner eigenen Courage hatte.

Der Termin fand in Köln statt, wohin wir im Sommer umziehen wollten. Letztlich habe ich mich vorher völlig umsonst verrückt gemacht: Die von mir erwarteten psychologischen Fragen blieben aus, das Gespräch verlief sehr harmonisch und irgendwie stimmte die Chemie. Abgesehen davon, dass ich mit meinen 34 Jahren die älteste Person bei dem Termin war und mir ziemlich alt vorkam. Nach dem Gespräch ging die Aufregung erst richtig los: Was, wenn die mich wirklich nehmen, käme ich mit der neuen Situation klar und wäre nicht mehr wie bisher „Herrin“ über meinen Tagesablauf? Wie würden die Kinder reagieren?

Alle Bedenken waren umsonst: Die Kinder freuten sich wie die Schneekönige, dass nun der Papa zu Hause bliebe (und weckten kurzzeitig Selbstzweifel an meiner Mutterrolle), mein Mann unterstützte mich nach wie vor (und stürzte sich auf mindestens 6 Kochbücher) – und ich machte mich langsam damit vertraut, den Managerposten bei uns zu Hause demnächst abzugeben (das war am schwierigsten!).

Als es dann endlich soweit war, kam für alle ein sehr harter Bruch: Die ersten 3 Monate musste ich zwischen Köln und Taunusstein pendeln und war nur an den Wochenenden zu Hause. Im nachhinein war das sogar sehr gut für unsere „Umstellung“, denn die Kinder haben in dieser Zeit gelernt, dass nicht mehr ich für die Wehwehchen und Hungerattacken zuständig bin, sondern mein Mann. Sehr oft hörte man anfangs den Schrei „Maaama…äh…Paaapa!“ Von der Ferne dirigierte ich anfangs noch (mit einem Heidenspaß!) den Papa zum Aldi, um dort Jeanshosen, Schuhe oder andere heißbegehrte Kinder-Ware zu „erkämpfen“. Aber irgendwann musste ich dann doch zugeben, dass er seine Sache sehr gut machte, mit viel mehr Aufwand als ich kochte und überhaupt an die Nachmittagsgestaltung mit den Kindern sehr viel motivierter heranging.

Vor kurzem sind wir nun alle zusammen in die Nähe von Köln umgezogen. Seitdem sehen wir uns wieder täglich – und für mich ist es ein unbeschreibliches Gefühl, abends von der Arbeit nach Hause zu kommen und dort Mann und Kinder vorzufinden (die sich meistens freuen, mich zu sehen!). Aus der Sichtweise unserer Familie kann ich nur sagen, dass unser „Rollentausch“ allen Beteiligten sehr gut getan hat. Die Kinder sind voller Stolz, wenn sie ihren Freunden erzählen „Bei uns ist der Papa zu Hause und die Mama geht arbeiten!“

Kleine Randbemerkung zum Schluss: Nachdem meine neuen Kollegen erfuhren, dass ich zwei Kinder im Alter von 6 und 7 Jahren habe, haben sie ganz erstaunt reagiert. „Wer kümmert sich denn um die, wenn Du 8 Stunden arbeiten gehst?“ Ich glaube kaum, dass ein männlicher Kollege so etwas gefragt würde. Eigentlich schade!

Von Silke Kanes

Als ehemalige Vorständin & Aufsichtsrätin - mit langjähriger Verantwortung für digitale Produktentwicklung und agile Transformation - unterstütze ich Unternehmen und deren Führungskräfte bei digitalen oder unternehmenskulturellen Herausforderungen.